Jo.Elle
Schweiz
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Erstellt am: 22.09.2008 : 12:22:20 Uhr
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Bin nur ich so ignorant?
Mit meiner fünfjährigen Tochter verbrachte ich ein verlängertes Wochenende an dem Ort wo ich aufwuchs. Obwohl ich keine Familie mehr dort habe, ist es doch wie ein Nachhausekommen, denn wir werden von den ehemaligen Nachbarn, die noch immer ihren Bauernhof dort betreiben, jedesmal herzlich aufgenommen.
An diesem Wochenende half ich dabei, die Zwetschgen, die gerade reif waren abzulesen, genoss die Ruhe und die schöne Aussicht die man von dort hat. Meine Tochter durfte auf dem Traktor mitfahren und auch die sonstigen Arbeiten, die auf einem Bauernhof so anfallen, verfolgte sie mit grossem Interesse. Am Nachmittag erfuhren wir, dass ein Kalb geboren worden war, welches sich noch mit der Mutter auf der Weide befand. Dieses galt es, samt Mutter in den Stall zu holen. Ob wir mitkommen wollen, fragte der Bauer, mit dem zusammen ich aufgewachsen war. Natürlich wollten wir. Ein kleines Kälbchen, neues Leben! Und das aus nächster Nähe. So was sieht man schliesslich nicht alle Tage! Was dann geschah allerdings auch nicht. Aufgeregt fuhren wir mit auf die Weide. Meine Tochter hatte noch nie ein neugeborenes Kälbchen gesehen und freute sich ganz besonders. Und da war es dann. Ein wunderschönes, hellbraunes Kälbchen, noch keine Stunde alt. Der Lärm des Traktors machte ihm Angst und es versuchte aufzustehen und bei seiner Mutter Schutz zu suchen. Auch sie machte der Traktor nervös. Sie versuchte ihm aus dem Weg zu gehen, doch dazu musste sie von ihrem Jungen weg. Muhend kam sie wieder zurück, wollte ihr Junges dazu aufmuntern mit ihr zu kommen, doch das konnte bei aller Mühe noch nicht selber aufstehen. Ich versuchte Conny, so hiess die Kuh, zu beruhigen, sprach leise auf sie ein und sagte ihr, dass alles gut sei. Wir wollten ihr bloss helfen das Kalb in den Stall zu bekommen, dann könne sie wieder bei ihm sein. Sie begriff nicht, warum wir ihr Junges wegholen wollten und das verstand ich gut. Eigentlich wusste ich selber nicht warum wir das taten. Der Bauer lud das Kalb auf den Anhänger und los ging es. Das Ziel war es, Conny dazu zu bringen, mit uns zu kommen. Das war anscheinend nicht immer einfach, da Kühe die Angewohnheit haben, an den Platz zurück zu kehren, wo sie ihr Junges geboren haben um es dort zu suchen, da sie manchmal nicht verstehen, dass es in dem Anhänger des Traktors ist. Conny aber verstand das sehr wohl und trabte eilig hinter uns her. Sie wurde immer nervöser und war sichtlich verzweifelt. Es erstaunte mich, dass sie uns nicht angriff. Immer schneller versuchte sie zu gehen, hielt sich so nahe wie möglich am Traktor. So nah, dass wir sie mit einem Stock wegscheuchen mussten, weil wir ihr sonst über die Füsse gefahren wären. Dann wechselte sie die Seite und konnte so ihr Junges sehen, dass hilflos und verängstigt bei uns im Anhänger lag. Sie streckte den Kopf herein und gab muhende Laute von sich, wohl um das Kleine zu beruhigen. Conny tat mir so leid und ich hätte viel darum gegeben ihr begreiflich zu machen, dass wir ihr nichts taten, ihr nur helfen wollten. Ich redete weiter auf sie ein, versuchte sie, so gut es ging, zu beruhigen. Gleich würden wir im Stall sein. Gleich würde sie wieder bei ihrem Jungen sein können. Die Fahrt dauerte keine fünf Minuten, doch mir kam sie viel länger vor und Conny wohl wie eine Ewigkeit. Endlich hatten wir es geschafft. Da war der Stall. Conny hatte ihre Sache gut gemacht. Sie war mit uns gekommen. Im Geiste sah ich schon, wie die beiden wieder glücklich vereint waren und das Kleine an dem prallen Euter der Mutter saugte. Was für ein Wunder war doch so eine Geburt! Doch dann kam der Schock. Der Bauer stieg vom Traktor, führte Conny in ein Gehege und machte sich daran das Gatter zu schliessen. Das Kalb war noch immer im Anhänger. Ich dachte er wolle es vielleicht zuerst waschen, da es etwas schmutzig war. In seiner Angst und bei dem Versuch vor dem Traktor weg zu laufen, war es in einen Kuhfladen gefallen. Sie bekommt es doch wieder?, rief ich zur Sicherheit. Nein, sagte der Bauer, leider nicht. Ich dachte er wolle mich auf den Arm nehmen, mache Witze. Ne, oder?, fragte ich ungläubig. Doch, sagte er, sie ist keine Mutterkuh. Ich stand da, verwirrt zuerst, dann fassungslos und versuchte die Tränen zurück zu halten, die ich aufsteigen fühlte. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Keine Mutterkuh? Sie hatte doch soeben ein Junges geboren! Was zum Teufel sagte er da? Ich erfuhr, dass Conny eine Milchkuh war, die jedes Jahr, ihr ganzes Leben lang, ein Junges gebären muss, dass man ihr dann wegnimmt, damit wir ihre Milch haben können. Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurück halten. Das Kleine schrie nach der Mutter, Conny muhte nach ihm. Und ich stand da und konnte nichts tun. Rein gar nichts. Und was das schlimmste an der ganzen Sache war, war dass ich all die Jahre in denen ich Milch getrunken hatte, nichts von diesem Schmerz, diesem Kummer der Mutterkühe die keine sind, gewusst habe. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, habe ihren Kälber als Kind selber die Flasche gegeben und nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, warum sie wohl nicht selber bei ihrer Mutter trinken. Ich Idiot habe wirklich gedacht, Kühe seien dazu gemacht Milch zu geben. Ich wusste nicht, dass sie ganz wie bei uns, diese Milch nur dann produzieren, wenn sie ein Baby haben, dass sie ernähren müssen. Ich wusste es einfach nicht. Ich fragte den Bauer wie er das tun könne, die Jungen den Müttern einfach wegnehmen. Er sagte, er fände es auch nicht gut, selber trinke er auch keine Milch, aber das sei halt so. Die Leute wollten eben ihre Milchprodukte.
Habt ihr es gewusst? Wusstet ihr, dass man hunderttausenden von Kühen wie Conny ihre Babys wegnimmt und ihnen dann ihre Milch stiehlt, damit wir sie trinken können, obwohl unser Körper gar nicht für ihre Verdauung gemacht ist? Habt ihr es gewusst?
Ich hoffe Conny kann mir vergeben, dass ich ihr gesagt habe, alles sei gut, wenn in Wirklichkeit gar nichts gut war. Ich habe es einfach nicht gewusst. Und das tut mir so leid!
Joelle R. Schwemmer 21. September 2008 |
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